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Kulturell abgehängt? Warum die Stadt Wien eine demokratische Kulturpolitik braucht.

von Ivana Pilić

 

Wien ist weltweit eine der bekanntesten und renommiertesten Kunst- und Kulturmetropolen. Mit einem Budget von etwa 257 Millionen Euro [Quelle Rechungsabschluss1x1wien.at] ist die Wiener Kunst- und Kulturszene staatlich reichlich bedacht und viele Weltstädte können von solch einem Kulturbudget nur träumen. Das Angebot ist immens und von einem Besuch im Burgtheater bis hin zu „Kino unter Sternen“ scheint in Wien alles möglich zu sein. Die Teilhabemöglichkeit für alle Wiener_innen an den kulturellen Angeboten der Stadt wird zur kulturpolitischen Notwendigkeit erklärt und ist im Regierungsübereinkommen 2015 der rot-grünen Stadtregierung festgeschrieben: „Еine Kulturpolitik der Gerechtigkeit. Die Stadt hat offene, für alle zugängliche, inklusive Kulturräume und -angebote.“

Die Aufgabe öffentlicher geförderter Kunst- und Kultureinrichtungen ist es für möglichst viele Menschen in der Stadt ein kulturelles Angebot bereitzustellen. Die Realität ist jedoch auch in Wien eine andere. Trotz anders lautender politischer Willensbekundungen werden von den großen Kulturinstitutionen bislang vor allem jene angesprochen und erreicht, die der so genannten höheren Bildungsschicht angehören. Menschen die aufgrund ihrer sozialen und kulturellen Sozialisation keinen Bezug zur „Hochkultur“ entwickelt haben, werden von der Teilhabe am kulturellen Leben der Stadt weitgehend ausgeschlossen. Dazu gehört auch ein großer Teil jener Menschen, die als Migrant_innen oder Menschen mit Migrationshintergrund bezeichnet werden. Wenn nur ein Bruchteil der Bevölkerung an Kunst und Kultur teilnimmt, stellt sich die Frage nach dem optimalen Einsatz öffentlicher Kulturgelder und somit auch nach der Legitimität der bestehenden Strukturen.

Aus dem Kulturbudget in der Größenordnung von etwa 257Million Euro [Quelle: Rechungsabschluss 2015 1x1wien.at] erhalten Subventionsnehmer_innen, die unter dem Label „Freie Szene“ zusammengefasst sind, etwa 2,5 Prozent. [Quelle: Studie Kultur und Geld]. Auch die Brunnenpassage als transkulturelle Institution, die sich mit Kunstpraxen beschäftigt, welche die Vielfalt der (Wiener) Bevölkerung als Realität anerkennen und Ausschlussmechanismen und rassistische Strukturen im Kulturbereich zu überwinden sucht, wird unter dem Label der Freien Szene subsumiert. Möglichst alle Wiener_innen sollen vom Kulturbudget der Stadt profitieren. Der finanzielle Fokus auf Institutionen der Hochkultur zeigt jedoch, dass dem nicht entsprochen wird und das Ungleichgewicht ist klar ersichtlich. Nachdem in Anbetracht der ökonomischen Rahmenbedingungen und der gestiegenen Verschuldung der Stadt Wien die finanziellen Möglichkeiten der Stadt in den kommenden Jahren nicht maßgeblich steigen werden, ist die Erhöhung des Kulturbudgets kein realistisches Ziel. Überdies ist die Grundausstattung – wie eingangs bereits angedeutet – im internationalen Vergleich ohnedies stattlich. Daher gilt es vielmehr die (Um-)Verteilung der Mittel zu adressieren und deren Verwendung im Sinne der offiziell festgelegten politischen Ziele der Wiener Kulturpolitik zu evaluieren.

Öffnung der etablierten Kulturhäuser

Wenn von Nicht-Teilhabe am Kulturgeschehen die Rede ist, spricht man im Allgemeinen nur über die Publikumsebene. Dabei stehen Fragen der sozialen Herkunft oder der Bildungshintergrund im Fokus. Diese soziokulturellen Merkmale können keineswegs zu reinen Migrationsfragen überhöht werden – dennoch überschneiden sich sozialer Background und die Kategorie Migration des Öfteren. Darüber hinaus werden sogenannte Migrant_innen oder Menschen mit Migrationserfahrung über die Publikumsebene hinaus – vielfach benachteiligt und ausgeschlossen. Als Beispiel sei hier die Diskriminierung akademisch ausgebildeter Künstler_innen genannt, die etwa auf den Theaterbühnen aufgrund körperlicher Merkmale nur für wenige, stereotype Rollen eingesetzt werden. In Hinblick auf ihren öffentlichen Auftrag sind große öffentlich finanzierte Häuser gefordert sich transkulturelle Konzepte anzueignen. Eine Öffnung der Institution geht über das Generieren neuer Publikumsschichten und damit neuer finanzieller Einnahmen im Sinne eines Audience Development weit hinaus. Beispielsweise werden im Rahmen von Kunstvermittlungsprogrammen regelmäßig Schulklassen durch die Museen der Stadt geschleust. Diese generalstabsmäßig verordneten Massenabfertigungen reichen allerdings keinesfalls aus, um eine nachhaltige Bindung zwischen Besucher_in und Institution aufzubauen.

Es bedarf mehr als halbherziger Kunstvermittlungsprogramme und einzelner Projekte am Rande des Spielplans. Die Hochkulturinstitutionen müssten einen Anspruch auf Breite ebenso zum Kernbestandteil ihrer strategischen Ausrichtung machen wie ihren Anspruch auf Spitze. Hilfreich wäre in diesem Zusammenhang beispielsweise die Einnahme einer transkulturellen Perspektive. Mit dieser einher geht eine Sensibilisierung für Machtverhältnisse, Barrieren und Ungleichheit in Hinblick auf Zugang zu Bildung und Kunst. Die migrantische Konnotation des Begriffs transkulturell soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Großteil der autochthonen Bevölkerung ebenso wenig Zugang zum kulturellen Angebot der Stadt Wien hat. Der transkulturelle Blick ist ein Anlass darüber nachzudenken, wie alle Menschen mit anderen kulturellen Zugängen – egal ob migrantisch oder nicht – von Kulturpolitik profitieren können. Hinsichtlich der Programmgestaltung gilt es, sich Fragen zu stellen, in welcher Weise das bisherige Programmangebot für Menschen mit unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen inhaltlich interessant und relevant ist. Auch das eigene Personal ins Blickfeld zu rücken und zu hinterfragen, welchen Teil der Wiener Bevölkerung dieses repräsentiert, wäre anzudenken.

Die Öffnung der großen Kulturinstitutionen für breitere Bevölkerungsschichten und einer programmatischen Neuausrichtung, die die Vielfalt der Wiener Bevölkerung als Realität anerkennt, ist nur ein erster, aber wesentlicher Schritt. Eine weitere sinnvolle Strategie wäre es, Fragen zur räumlichen Verteilungsgerechtigkeit zu fokussieren, denn diese werden zunehmend virulenter.

Innen_Außen

Einen Platz in der Gesellschaft zu finden, sozial aufzusteigen, am politischen und kulturellen Leben der Stadt mitzuwirken, wird für viele zunehmend schwieriger. Doch nicht nur die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter, es kommt auch zu einer kulturellen Polarisierung in Österreich wie der Bundespräsidentschaftswahlkampf 2016 und die Wiener Gemeinderatswahl 2015 gezeigt haben. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Spaltung weniger mit dem Einkommen als vielmehr mit dem Bildungsgrad korreliert. Für Wien bedeutet dies beispielsweise, dass etwa eine in prekären Lebensumständen lebende Akademikerin aus einer Wohngemeinschaft in Hernals sich kulturell einem völlig anderen Milieu zugehörig fühlt als ein Selbstständiger mit Lehrabschluss, der das Doppelte verdient und in einem Einfamilienhaus in Floridsdorf lebt. In Wien erleben wir ein Auseinanderdriften der Bevölkerung entlang von Bildungshintergründen, die sich auch zunehmend räumlich bemerkbar macht. Grob gesprochen verläuft diese Grenze zwischen den inneren und äußeren Bezirken – im Wahlverhalten ebenso wie in Hinblick auf subtile Existenzängste, in Bezug auf die Abneigung gegenüber einer gefühlten Elite oder auch im Zusammenhang mit zunehmendem Rassismus. Es stellt sich die Frage, warum in Zeiten zunehmender Spaltung der Gesellschaft die Kulturpolitik kaum reagiert und ihre Verantwortung wahrnimmt?

Das subtile Gefühl mancher Menschen zu kurz zu kommen, wird durch die Kulturpolitik oftmals befördert. In Wien befinden sich die meisten sogenannten Hochkulturinstitutionen, welche die höchsten Fördersummen erhalten, in der Innenstadt. Menschen mit geringeren Bildungsabschlüssen und weniger Zugang zur Hochkultur wohnen überwiegend in den sogenannten Außenbezirken (Ausnahme bilden in Wien die bürgerlichen Bezirke Hietzing, und Döbling, die ebenfalls Außenbezirke sind). Damit sind jene Kunst- und Kulturinstitutionen nicht nur konzeptionell, sondern auch räumlich weit davon entfernt mit vielen Teilen der Wiener Bevölkerung zu interagieren. Es bedarf klarer politischer und langfristiger Strategien und Formate, damit sich die Vielfalt der Wiener Bevölkerung – egal ob migrantische Positionen oder Menschen aus bildungsbenachteiligten Schichten – im Programm und in den großen Häusern der Stadt wiedererkennen kann. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass es nicht nur soziale und ökonomische Gründe sind, die zu einem subjektiven Gefühl der Vernachlässigung führen, kommt der Kulturpolitik eine große Bedeutung zu. Eine politische Auseinandersetzung, die sich primär entlang von Kulturkämpfen abspielt (Genderfragen, LGBT-Rechte, Grenzen dicht vs. Refugee welcome, etc.) kann nicht nur auf der Ebene sozialer Verbesserungen entschärft werden. Kulturpolitik kann einen essenziellen Beitrag leisten, um die politische Kultur in Österreich zu verändern.

Abseits der Notwendigkeit einer vor allem auch programmatischen Öffnung der Kulturhäuser bedarf es einer mutigen Kulturpolitik, die sich nicht nur rhetorisch dafür einsetzt, dass es in Außenbezirken wie Donaustadt, Floridsdorf, Simmering oder Favoriten mehr Kulturangebot vor Ort gibt (alleine in den genannten vier Bezirken lebt ein Drittel der Wiener Bevölkerung). Kunst und Kulturinstitutionen können Orte sein, in denen gesellschaftlich brennende Fragestellungen besprochen werden können, in denen abseits von sozialer oder kultureller Zugehörigkeit Menschen miteinander in Dialog treten können und damit Ausverhandlungsprozesse zwischen segregierten Bevölkerungsgruppen möglich werden. Kulturinstitutionen in den Außenbezirken wären ein wesentliches Instrument, um Menschen zu erreichen, die derzeit kaum Gebrauch machen vom kulturellen Leben der Stadt. Damit könnte die Stadt Wien kulturelle Impulse in den peripheren Stadtgebieten setzen. Eine gute kulturelle Infrastruktur und eine Demokratisierung der Kulturinstitutionen führt zur Verbesserung der Lebensqualität der Bewohner_innen eines Stadtviertels und ermöglicht etwa auch die Inklusion von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und langfristig ein kollektives Miteinander abseits von Herkunft und sozialer Schicht. Damit dies gelingt, reicht es nicht aus, nur kurze Impulse zu setzen – etwa mit temporären Festivals, oder kleine Initiativen zu fördern. Ein zugängliches großes Theater, ein niedrigschwelliges zeitgenössisches Museum und diverse soziokulturelle Institutionen wären Ausdruck eines großangelegten Umdenkens, um von einer Kulturpolitik der Gerechtigkeit sprechen zu können.

Kulturpolitische Entscheidungsträger_innen sollten Kulturorte als Motoren des sozialen Fortschritts der Gesellschaft erkennen und für deren Innovationskraft ein verstärktes öffentliches Interesse wecken. Kulturpolitische Pläne zur öffentlichen Finanzierung von Transkultur sind nur dann von übergeordneter Relevanz, wenn sie von einer klaren politischen Strategie gestützt werden. Förderkriterien, die sich auf die Etablierung kultureller Vielfalt und des transkulturellen Dialogs beziehen, sollten definiert und festgeschrieben werden, ebenso Fördervergabekomitees über die Bewertung des transkulturellen Dialogs geschult werden. Es sollte in diesem Zusammenhang zuallererst erkannt werden, dass womöglich keine zusätzlichen Mittel erforderlich sind, um mehr auf Vielfalt und neue Bevölkerungsgruppen einzugehen, sondern eher die bisherige Geldvergabe überarbeitet und neubewertet werden muss, um der heutigen gesellschaftlichen Zusammensetzung gerecht zu werden.