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Positionspapier zu Leerstand und Zwischennutzung

Leerstand gibt es auch in Wien. Es handelt sich dabei nicht nur um leere Lokale, sondern auch um nicht genutzte Wohnungen, Büros, alte Tankstellen, Baulücken und Brachen. Die IG Kultur Wien – Interessensgemeinschaft der freien und autonomen Kulturarbeit in Wien- beschäftigt sich seit 2009 verstärkt mit diesem Thema, weil Raum immer nötig ist, um Kultur umzusetzen.
Denn bei 2,5% Fördermittelanteil vom Kulturbudget für die freie und autonome Kunst- und Kulturszene und den hohen Lebenshaltungskosten in der Metropole Wien, kann sich kaum ein freies autonomes Projekt eine marktübliche Miete leisten.
So sind eher marktunübliche Verabredungen wie Prekariumsverträge und Zwischennutzungen – meist in ungenutzten Räumen – die einzige Möglichkeit, Ideen zu realisieren und Kultur zu schaffen.

Mit dem Plan, eine „Agentur für Zwischennutzung“ zu schaffen, hat die Wiener Stadtregierung in ihrem Regierungsprogramm (Ressort Kultur) 2010 richtungsweisend auf diese Situation reagiert.
Konkretes über die Ausgestaltung und Art der Umsetzung dieser Agentur lässt aber nach über zwei Jahren rot-grüner Kulturpolitik weiter auf sich warten. Die IG Kultur Wien hat bereits im Herbst 2012 mit der Studie „Perspektive Leerstand“ Handlungsempfehlungen an die Stadt für ein notwendiges Leerstandsmanagement für Wien abgegeben.

Wir begrüßen, dass seitdem unsere Forderung nach einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe erfüllt wurde. Was aber weiterhin und dringend fehlt, ist die aktive und selbstverständliche Einbindung von ExpertInnen aus dem Kulturbereich durch das hauptverantwortliche Ressort Kultur!
Und das, obwohl die Expertise der IG Kultur Wien seit 2012 auf dem Tisch liegt.

VertreterInnen aus der Wirtschaft und ImmobilienbesitzerInnen werden nach ihren Interessen und Bedarfen gefragt und an Gesprächen beteiligt. Maßgeblich involviert in die konzeptuelle Ausarbeitung der Agentur ist aktuell die Kreativagentur „departure“, deren Fokus auf den Creative Industries liegt. Bedürfnisse freier und autonomer Kulturschaffender bleiben dabei außen vor – sowie generell die Perspektive raumsuchender Menschen.
Ein neues Stadtplanungsinstrument zum Umgang mit Lerstand sollte aber eine umfassende Vermittlung von vorhandenem Raum und Bedarf leisten und sollte nicht allein die Wirtschaftsförderung der Kreativbranche zum Zweck haben. Eine derart einengende Vorgehensweise, die nicht darauf zielt, das breite Spektrum lebendigen Kulturschaffens und diverser Lebensweisen in der Stadt Wien zu erfassen, ist inakzeptabel.
Deshalb fordert die IG Kultur Wien einen eindeutigen Fokus auf die potentiellen NutzerInnen und eine Orientierung am sich vielfältig artikulierenden Bedarf. Wo steigende Mieten und verstärkte Verdrängungsprozesse eine immer bedeutendere Rolle spielen, braucht niemand ein städtisches Projekt, das vorbei an den Bedürfnissen prekärer MitbewohnerInnen entwickelt wird.

Die IG Kultur Wien fordert die Stadt Wien – vor allem das Büro des Kulturstadtrates und des Wohnbaustadtrates – dazu auf sich mit mehr Mut den sozialen Anforderungen von Stadtplanung und Stadtentwicklung zu widmen. Es gibt viele Beispiele aus anderen europäischen Städten, die für die Entwicklung eines nachhaltigen Leerstandsmangements Pate stehen könnten.
Einige davon sowie weitere konkrete Forderungen der IGKW sind nachfolgend zusammengefasst:

Gesamtstädtische Perspektive!

Es sollen nicht einzelne Straßen und Grätzel als „kreative hotspots“ herausgepickt werden, die dann „revitalisiert“ bzw. aufgewertet werden, mit der Konsequenz von schnell steigenden Grundstückskosten und überhöhten Mieterwartungen. Eine „Agentur für Zwischennutzung“ sollte keine Institution sein, die Verdrängungsprozesse von wirtschaftlich schwächeren StadtbewohnerInnen fördert. Es muss eine gesamtstädtische Perspektive zum Thema entwickelt werden, die den sozialen und kulturellen vor den monetären Mehrwert setzt. Nach dem Motto ‘jedem Grätzel sein Grätzel-Treff’ braucht es eine breite Infrastrukturförderung von einfach adaptierbaren semi-öffentlichen und öffentlichen Räumen in allen Bezirken.


Nachhaltiges Leerstandsmanagement!

Ein sinnvolles Planungsprojekt darf nicht ausschließlich auf Zwischennutzungen fokussieren, sondern muss ein nachhaltiges Leerstandsmanagement entwickeln, das auch mittel- und langfristige Raumbedarfe einbezieht. Ziel sollte es sein, grundsätzlich alternative Um- und Weiternutzungen zu ermöglichen und zu vereinfachen.
Um einen Interessensaustausch langfristig strukturell zu verankern, sollte es einen stadt-externen Beirat für die Agentur geben. Der Beirat sollte nicht parteipolitisch besetzt sein und die IG Kultur Wien und weitere unabhängige Institutionen als Interessenvertretungen der freien und autonomen Kulturszene, gleichberechtigt und ständig einbeziehen.


Gesetzliche Rahmenbedingungen verändern!

Im Zusammenhang mit einem verträglichen gesamtstädtischen Leerstandsmanagement muss eine Auseinandersetzung mit Strategien stattfinden, die den gesetzlichen Rahmen betreffen. Lange Leerstände sollten gesetzlich verhindert und niedschwellige Zugänge ermöglicht werden.
Amsterdam kann auf eine lange Tradition von selbstangeeigneten Leerstandsnutzungen zurückblicken, die ein vielfältiges kulturelles Leben in der Stadt ermöglichten. Die Grundlage dafür wurde durch aktive Gruppen und ein spezielles Hausbesetzungsgesetz geschaffen, das bis 2010 Besetzungen von länger leerstehenden Gebäuden legalisierte.


Bottom-up statt top-down!

Die Planung sollte weniger von oben her ihre Vorstellungen durchsetzen, als vielmehr auf schon bestehende Initiativen und Projekte reagieren und diese fördern. Es sollte eine größere Offenheit gegenüber aktiven Aneignungsprozessen und Raumnahmen geben. Viele zentrale Kulturorte in Wien, die nicht mehr wegzudenken sind, sind aus Besetzungen und ihrer Duldung oder Legalisierung entstanden.
Wie gut das auch aktuell noch funktionieren kann wird am „Gängeviertel“ in Hamburg deutlich. Vor drei Jahren wurden zentrumsnah zwölf teils verfallene Häuser angeeignet und bespielt. Die Stadt hat den schon gemachten Deal mit einem holländischen Investor rückabgewickelt und hat seitdem in der fast ausgestorbenen Innenstadt einen neuen vielfältigen, kulturellen und höchst belebten Ort. www.das-gaengeviertel.info


Faire Vermittlung!

Fairness heißt strukturellen Benachteiligungen entgegenzuwirken.
Leerstehende Räume sind selten in einem guten Zustand und müssen mit wenigen finanziellen Mitteln nutzbar gemacht werden. Den Raum dann nur kurzfristig nutzen zu können, verstärkt die prekäre Situation für die NutzerInnen. Darum: Wenn schon Zwischennutzung, dann sollte eine Nutzung auf Betriebskostenbasis der Standard werden.
Kündigungsfristen sollten der Nutzung entsprechen und können kurz sein, aber weniger als vier Wochen sind definitiv inakzeptabel.
Verträge müssen auch für Unwissende durchschaubar sein. Für eine faire Vermittlung braucht es eine unabhängige rechtliche Beratung und eine kontinuierliche Begleitung des Kommunikationsprozesses.


Transparenz und Kommunikation!

Wieviel Leerstand gibt es überhaupt? Gute Frage! Hier braucht es eindeutig mehr zugängliche Informationen. Die Stadt sollte zumindest ihre eigenen leerstehenden Raumressourcen offenlegen, und EigentümerInnen müssten generell zur Anzeige von Leerstand verpflichtet werden. Ein offener Zugang zu den Grundbucheinträgen wäre dabei ein wichtiges Mittel, um nicht gemeldete Leerstände und verletzte Anzeigepflichten zuordnen zu können.
Transparenz in Bezug auf Leerstand zu schaffen ist keine Unmöglichkeit! Das statistische Amt des Kantons Basel Stadt etwa sammelt jährlich sehr genaue Daten zu Wohnungs-, Geschäfts- und Industrieleerstand und macht sie öffentlich verfügbar.
In Zürich ist die Erhebung von Leerstand sogar im Bundesgesetz festgeschrieben.
Der Leerstandmelder Wien, ein noch junges Projekt der IG Kultur Wien, greift auch dieses Problem der Intransparenz auf und wirft per kollektiver Kartierung im Netz einen Blick auf das Thema Leerstand in Wien. 
www.leerstandsmelder.net


Runter mit den Mietpreisen!

Wien wächst, aber einen ausgleichenden, sozialen Wohnbau gibt es seit 2004 praktisch nicht mehr. Im privaten Bereich ist das Mietniveau in den letzten zehn Jahren durchschnittlich um 45% gestiegen. In den vor 1945 gebauten Häusern, die privat vermietet werden, werden mehr als die Hälfte der Wohnungen befristet neuvergeben. Laut Gesetz ist ein Abschlag von 25% bei Befristungen vorgesehen, der aber nirgendwo eingehalten wird. Er ist auch nicht einklagbar, weil Ab- und Zuschläge derweil nicht ausgewiesen werden müssen. Die MieterInnen solcher Wohnungen stehen zeitnah wieder vor dem Problem eine bezahlbare Wohnung zu finden, was bei steigenden Mietpreisen schwieriger wird. Wer dann noch im selben Grätzel bleiben möchte, hat ganz schlechte Aussichten.
Am Wohnungsmarkt gibt es faktisch schon eine Form der „Zwischennutzung“, deren positiver Effekt für MieterInnen und NutzerInnen schwer zu erkennen ist. Im Gegenteil, es kommen wirtschaftliche Interessen sogar am Gesetz vorbei vor allen anderen Bedürfnissen zum Zuge und verschlechtern die Situation von MieterInnen und NutzerInnen durch eine erzwungene Flexibilität.
Ein sinnvolles Leerstandsmanagement ist im Kontext der steigenden Miet-, Immobilien- und Bodenpreise zu diskutieren. Der Ansatz „Zwischennutzungen zu vereinfachen“ reicht nicht aus. Es müssen Möglichkeiten zur Leerstandsnutzung geschaffen werden, die diesen Prozessen entgegenwirken.


Eine mutige Leerstandspolitik als Einstiegspunkt für eine andere Stadtpolitik

Leerstand bietet Möglichkeiten und Chancen, diese müssen genutzt werden. Ein mutiger Umgang mit Leerstand sieht nicht nur Verwertungsmöglichkeiten und Förderungen von kreativen Hot Spots, sondern sieht (im Gegenteil) die Nutzung von Leerstand als einen Einstiegspunkt für eine Stadtpolitik, die den Zugang zu städtischen Ressourcen für alle gewährleisten will.
Sie sieht Leerstand als ein städtisches Allgemeingut an, das von denen verwaltet und organisiert werden soll, die es wirklich nutzen. Sie erkennt die Möglichkeiten von Leerstand an, einen Raum zu schaffen, der zum selbstorganisierten Aufeinandertreffen von Nachbar_innen einlädt, der Experimentierlabor ist, um andere Formen von sozialen Beziehungen zu entwickeln, andere Formen zu erlernen mit Besitz/Eigentum und Ressourcen umzugehen.
Diese Perspektive der Stadtentwicklung nimmt damit Begriffe wie soziale Gerechtigkeit und Partizipation ernst und füllt sie mit Inhalt. Der Umgang mit Leerstand kann und muss der Einstiegspunkt sein für einen gänzlich anderen Weg.


Die Stadt gehört uns allen!