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Mήδεια /MEDEA                                         

Performance

                                                           

Wien, März 2010

Mitwirkende: Anastasia Papatheodorou, Eleni Nasiou

Zeitpunkt der Aufführung: 7ter, 8ter und 10ter Juni 2009

Ort: öffentlicher Raum der Stadt Wien

 

Wenn du dich unsichtbar gemacht hättest, wie wir, [..].
Im Verborgenen leben, kein Wort sagen, keine Miene verziehen, dann dulden sie dich. Oder vergessen dich. Das beste, was dir passieren könnte.

                                                                        Christa Wolf, Medea. Stimmen, S. 184

 

Die Geschichte: Der Medea-Mythos beschreibt das Leben einer Frau in einem anderen Land. Ihrer Traditionen und einflussreichen Stellung beraubt, wird die Königstochter aus Kolchis, die es wagt, die althergebrachten Legenden ihres Gastlandes Korinth zu hinterfragen, von den Machthabern jenes Landes zum Sündenbock gemacht und verfolgt.

Ihre ebenfalls in Korinth lebenden Landsleute distanzieren sich entweder von ihr und steigen in dem korrupten System auf, oder ziehen sich ins Private, in ihr ‘Ghetto’ zurück. In der Überlieferung von Euripides bringt sie ihre beiden Kinder um, und wird damit selbst zur Täterin, zum Inbegriff des Bösen gegenüber der Gesellschaft, die ihr durch diesen Akt am Ende ‘weissgewaschen’ und frei von jeder Schuld gegenübersteht.

     Christa Wolf gibt dem Medea-Mythos eine andere Wendung. Bei ihr ist es nicht Medea, die ihre Kinder umbringt, sondern die Schergen des Systems ermorden sie und schicken die Mutter in die Verbannung. In Wolfs Version bleibt Medea moralisch integer und ist Opfer im doppelten Sinn: Als ‘politisch Verfolgte’ ihrer alten Heimat; als ‘Sündenbock’ in ihrer neuen Heimat, denn um sich der unbequemen Mitwisserin zu entledigen, streuen ihre Feinde Gerüchte, und setzen sie damit der Wut eines rasenden Mobs aus.

 

Die Idee: Jede Migrationsbiografie bewegt sich zwischen den Polen Identität und Anpassung, Kritik am Anderen und Unterordnung, Stolz. Schon die Verwendung der Sprache erweist sich als trügerisch, die Muttersprache versteht niemand, in der Sprache des Gastlandes können Dinge ganz anders klingen als sie gemeint sind. Die Sprache verliert so ihre Funktion als Bindeglied zwischen den Menschen und wird statt dessen zum spaltenden Element. Also lieber Schweigen? Damit würde man auf die Teilnahme an der Gesellschaft verzichten, und damit einen Teil seiner selbst opfern, denn was ist ein Mensch, der keine Möglichkeit findet, sich auszudrücken? Medea steht für diejenigen, die nicht schweigen können oder wollen, und damit oft zum Schweigen gebracht oder für fremde Zwecke ausgenutzt werden. Andererseits sind es die, die uns, der Gastgesellschaft, die Wahrheit über uns sagen, besser als wir es selbst je könnten. Zugleich steht Medea für die Einsamkeit in der Fremde. Ohne Kultur und Tradition und ganz auf sich alleine gestellt ist der Mensch nichts, man versteht ihn nicht.

 

Die Performance: Zwei griechische Schauspielerinnen (Anastasia Paptheodorou und Eleni Nasiou) übernehmen die Rolle der ‘Medea’, der Fremden. Eine von ihnen, Anastasia nimmt das Publikum in Empfang, teilt Busfahrkarten aus, und alle besteigen einen bereitstehenden Bus. Der Bus fährt los, Anastasia beginnt, auf Englisch aus ihrem Leben zu erzählen, warum sie nach Wien gekommen ist, warum sie so lange hier geblieben ist. Im Laufe der Fahrt bezieht Anastasia Eleni, die weiter hinten im Bus sitzt, in ihre Erinnerung mit ein, Eleni erzählt ein Erlebnis, bei dem sie sich hilflos gefühlt hat, etwa bei einer Ticketkontrolle in Wien. Die Fahrt endet als die beiden über Dinge reden die sie aus ihrer Heimat vermissen.

   Bei der Ankunft beim Einkaufszentrum Erdberg ‘übernimmt’ Eleni die Zuschauergruppe. Sie packt rot-weisses Absperrband aus und befestigt es an einer Säule. Der Bus fährt ab. Die Zuschauer sind an einem verlassenen, ‘fremden Ort’.. Eleni weist dem Publikum einen Weg durch das Labyrinth der Treppen und Gänge. Anastasia wählt einen anderen Weg und verschwindet somit aus dem Geschehen. Ein starker Scheinwerfer, von einem Helikopter oder einer festen Position aus, irritiert die Wahrnehmung des Publikums.. Man ist wie eine Gruppe Verfolgter.

   Eleni führt die Gruppe an einem Café vorbei direkt auf die Parkgarage zu. Der Blick der Zuschauer fällt auf  das Parkhaus. Hinter dem Publikum sitzt Anastasia einsam in dem Café. Das Publikum dreht sich erst zu ihr um als sie zu singen beginnt. Es ist ein altes trauriges griechisches Lied, mittendrin ein Lichtwechsel. Eleni steigt unterdessen in den ersten Stock der anliegenden Parkgarage, erscheint hinter den Stäben der Garage und übernimmt das Lied von Anastasia. Das Publikum dreht sich wieder um, diesmal zu Eleni, die langsam Schritt für Schritt nach hinten wegtritt - das Lied wir immer leiser - und schliesslich ganz verstummt. Als sich das Publikum wieder dem Café zuwendet, ist es leer.

 

Bibliographie: Christa Wolf: Medea.Stimmen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2008.

Euripides: Medea, Reclam Verlag

Karl Kerènyi: Die Mythologie der Griechen, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 18. Auflage1997

Albin Lesky: Die griechische Tragödie, Kröner Verlag ,1992

Michaela Prinzinger: Mythen, Metaphern und Metarmorphosen, J.B.Metzler Verlag

Birgit Roser: Mythenbehandlung und Kompositionstechnik in Christa Wolfs Medea/ Stimmen. Peter Lang Verlag, Frankfurt 2000

Eleni Georgopoulou: Antiker Mythos in Christa Wolfs Medea/Stimmen und Evjenia Fakinus Das Siebte Gewand,Die Litarisierung eines Kultur-Prozesses,Romiosini Verlag

Fischer-Lichte Kreuder/ Pflug ( Hrsg.) Theater seit den 60er Jahren, UTB für Wissenschaft A. Franke Verlag Tübingen und Basel,1998

Eidlhuber Mia: Asylantenkosmos am Stadtrand, Album, ( Beilage der Tageszeitung Der Standard 30. Mai 2009.

 

Diskographie:

Songs about Greeks far from home

Selection-Supervision: Domna Samiou , Lambros Liavas

Folk music association Domna Samiou, 1992

 

 

Biographie: Carla Ehrlich wurde am 1.9.1980 in Freiburg geboren. Sie studierte Szenografie an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Während eines fast zweijährigen Studienaufenthalts in Athen studierte sie Malerei an der Kunstakademie ASKT und arbeitete als Assistentin am Theatro Apo Mihanis Athen (Walworth Farce).

Assistenzen und Praktika im Bereich Bühne/Kostüm/Regie führten sie unter anderem nach Berlin/Warschau (Kommander Kobayashi), Stuttgart (Tristan und Isolde/ Die Troerinnen) und Basel (Jeanne d’Arc au bûcher).

Für die Kurzfilme „Blackstory“ 2007-2010, „Löwenherz“ 2008, „Jenseits der Linie“ 2009 und „Für Elise“ 2010, machte sie das Szenenbild.

Seit 2007 hat sie folgende Performance-Projekte verwirklicht:

- „ in die Landschaft MEINES Todes“ Jan 2007, Semperdepot Wien,

mit Maren Grimm, Michael Haller, Andreas Hutter

- „ only this and nothing more“ Sept 2007, Militärmuseum Belgrad

- „Top secret“ Aug 2008, House of Legacy und Militärmuseum Belgrad mit Maria León

- „Μήδεια/Medea“ Juni 2009, Performance im öffentlichen Raum in Wien

- „Macondo“ Juli 2009, im Schatten der Biennale in Venedig mit Maria León

- „Je vais bien, ne t’en fais pas“ Sept 2009 Hallein, Alte Saline mit Daniela Zeilinger



 

 

Dank an: Prof Erich Wonder, Daniela Juckel, Andrea Höltzl, Gerhard Fischer, Ronald Zechner, Annika Haller, Krassimira Kruschkova, Astrid Rausch, Oleg Dergilev, Attila Plangger, Fiona Brady, Anja Anglhuber, Paulus Jakob, Rita Koller, Ektoras Lygizos, Suhrkamp Verlag, Terassencafe Erdberg, Richard Busunternehmen, P &R shopping Erdberg,

 

Dieses Projekt wurde freundlich unterstützt von der Hochschulschaft der Akademie der bildenden Künste Wien