Zum Hauptinhalt springen

Marty Huber: 35 JAHRE ROSA WIRBEL. Vom 1. Wiener Schwulen- und Lesbenhaus in die queere Intersektionalität. Ein langer Weg.

 

„Als minoritäre Allianz haben wir noch viel vor.“ So lautet der letzte Satz meines Textes Radikale Schnittstelle werden, der in Stimme – Zeitschrift der Initiative Minderheiten1 erschienen ist. In diesem Text geht es mir u. a. darum, die Diversität des Eigenen als Schnittstelle zu verstehen und Kritikfähigkeit als permanente Übung einzusetzen mit der Anforderung, sich selbst zu ändern und weiterzuentwickeln.

Radikale Kulturarbeit verstehe ich heute als Notwendigkeit, Orte zu schaffen, die Diversität in einer Konfliktzone verstehbar und verhandelbar machen. Mit dem Begriff der Konflikt- bzw. Kontaktzone beziehe ich mich auf Nora Sternfeld, die in ihrem Buch Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung2 die Frage nach Bereichen der Auseinandersetzung und Zusammenfügung stellt, ohne dabei Machtverhältnisse zu ignorieren oder im falschen Harmoniebedürfnis Dissens und Konflikte zu nivellieren. Für die verschiedenen Kollektive, die im Kern die Türkis Rosa Lila Villa ausmachen, stellt sich gerade auch im Hin- und Rückblick auf die letzten 35 Jahre die Frage, inwieweit Offenheit, Reflexivität und Dissens prägend für ihre Selbstorganisierung waren und welche Machtverhältnisse notwendige Entwicklungen verhindert bzw. hinausgezögert haben.

No place like Villa

Derzeit platzt die Villa aus allen Nähten, unzählige Gruppen nutzen die Räumlichkeiten der Beratungsstelle Türkis Rosa Lila Tipp, die Wohngemeinschaften sind vollbelegt, und mit Queer Base hat sich ein neuer Verein in der Villa etabliert, der LGBTIQ-Refugees unterstützt. Eine Multitude an queerem Leben versammelt sich unter diesem Dach, hinter der rosa-lila Fassade, die besonders bei den Vereinsfesten gemeinsam in Erscheinung tritt.
Im Gegensatz zu anderen großen LGBTIQ-Organisationen haben es die Villa-Aktivist_innen immer vermieden, eine_n Sprecher_in, Präsident_in, Geschäftsführung zu installieren, Kollektivitäten insbesondere in den Bereichen Wohnen und Beratungsstelle waren immer die bevorzugte Organisationsform, das Lokal Willendorf wurde aber sehr bald mit geschäftsführenden Personen versehen. Die Grundvoraussetzung für die Existenz des Hauses ist sicherlich eine ökonomische, die Villa ist als Liegenschaft im Besitz der Gemeinde Wien, jedoch hat der Verein Türkis Rosa Lila Tipp einen Baurechtsvertrag, der es ermöglicht, das Haus seit 1982 aus dem Immobilienmarkt auszukoppeln. Diese ökonomische Basis des Raumes erlaubte es den Bewohner_innen, Betreiber_innen des Lokals und Aktivist_innen, auch vielfältige Krisen zu überstehen, seien es organisatorische, zwischenmenschliche oder ökonomische. Durchhalten geht einfacher, wenn mensch sich nicht finanziell ruinieren muss.

Dadurch kann einiges an Belastungen abgefedert werden, jedoch bewahrt es eine nicht vor der Gefahr, sich als langfristiges Projekt totzulaufen, ein Hort der Selbstbeweihräucherung zu werden oder eine Kommerzialisierung zu durchlaufen. Es kommt in allen noch so basis- und konsensorientierten Kollektiven zu Wissenshierarchien durch Verschleierung von Privilegien und Fortsetzungen von strukturellen Rassismen und Sexismen, die dazu führen, dass gewisse Personen zu Gatekeeper_innen für die Entwicklung, Teilhabemöglichkeiten und Veränderungen werden. Konfliktlinien verlaufen zusätzlich an den Stellen ökonomischer und sozialer Stellung.

Räume, Offenheit und ihre Zeiten

Vielfalt ist eine der Eigenheiten und Herausforderungen der sog. LGBTIQ-Community und die Frage nach Anerkennung und Offenheit dieser Diversität auch eine Anforderung an die Selbstorganisierung. Die Community ist geprägt von einer Geschichte der Stigmatisierung, der Scham und Internalisierung von Abwertung. Es erweist sich daher als besonders schwierig, nicht nur entlang der Frage nach sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität zu arbeiten, sondern auch an den Achsen von anderen Ungleichheitserfahrungen wie Rassifizierung, Armut, Bildungszugängen etc. Hebel zu entwickeln, die eine selbstkritische Entwicklung vorantreiben.
Die Villa startete als Projekt von Lesben und Schwulen, die gemeinsam wohnen wollten. Transpersonen und ihre Bedürfnisse z. B. nach Räumen für Treffs oder sicherem Wohnraum kamen erst Mitte der Neunzigerjahre in das Projekt. Also nach mehr als zehn Jahren des Bestehens. Diskussionen, um Frauen_Räume waren zu dieser Zeit noch verhärteter als heute und biologistische Raumpolitiken der Standard. Die Zusammenarbeit mit Selbstorganisationen von Transpersonen wie TransX (Gründungsjahr 1995) funktionierte aber relativ bald und gut, strukturell veränderte sich der Beratungsverein (Türkis) Rosa Lila Tipp erst in den Zehnerjahren dieses Jahrtausends, erweiterte das Farbenspektrum um Türkis und machte somit nach außen sichtbar, dass Transpersonen strukturell und organisatorisch eingebunden sind.

Eine andere Konfliktlinie ist die Frage eines politischen Antirassismus und einer Umsetzung in praktische Raumpolitik. Wie können mehrheitlich weiße Räume Öffnungen erzeugen und dabei nicht davon ausgehen, sich durch diese Öffnungen nicht verändern zu müssen? Die Villa wurde als Ort immer unterschiedlich von Menschen mit Migrations- und Rassifizierungserfahrungen genutzt, dennoch ergibt sich ein sehr durchwachsenes Bild, wenn es um konkrete Umsetzungen von Privilegienumverteilung geht. 2000 startete etwa das mehrjährige EU-Projekt Bekämpfung der Mehrfachdiskriminierungen lesbischer Migrantinnen und Schwarzer Lesben, das von LesMigras Berlin koordiniert wurde, an dem die Lesbenberatung Lila Tipp beteiligt war, auch weil es keine Selbstorganisation von lesbischen Migrantinnen und schwarzen Lesben gab. Etwa zur gleichen Zeit wurde der Verein Vienna Mix gegründet, der sich an LGBT-Migrant_innen richtete. Trotz dieser Projekte und Vereine, die bei der Villa andockten, konnten zu dieser Zeit keine wirklich strukturellen Veränderungen geschaffen werden. Zum einen waren und sind da Hürden von Seiten weißer mehrheitsangehöriger LGBTIQ und ihrer spezifischen Privilegien, ihrer Unreflektiertheit gegenüber rassistischen Gewalterfahrungen und zum anderen internalisierte Trans- und Homophobie von minderheitsangehörigen LGBTIQ, die aufgrund der Prominenz und Sichtbarkeit der Villa diese Räume nicht nutzen wollten.

Anders verhielt es sich mit einem von der Schwulenberatung Türkis Rosa Tippp 2008 gestartete Projekt, das FreiRäumchen. Das FreiRäumchen ist ein offener Treffpunkt, der darauf ausgerichtet ist, einen nicht-kommerziellen, niederschwelligen Ort zur Vernetzung zur Verfügung zu stellen. Über die Jahre war es möglich, zuerst einmal im Monat ein transkulturelles Treff auszuschreiben, mittlerweile ist das nicht mehr notwendig, weil das FreiRäumchen wahrscheinlich der transkulturellste Treff der Stadt ist. Dazu beigetragen hat die Queer Base, die zur richtigen Zeit, am richtigen Ort wichtige Aufbauarbeit leistet, um LGBTIQ-Refugees im Asylverfahren, aber auch bei der Selbstorganisierung zu unterstützen. So findet z. B. jeden Donnerstagnachmittag eine Human Rights School statt von und für LGBTIQ-Refugees und alle, die daran interessiert sind, über das Leben, die gesellschaftliche und politische Situation von LGBTIQ zu lernen und Wissen weiterzugeben.

Everybody hurts – sometimes (REM)

Trotzdem widerspreche ich immer wieder, wenn etwa das FreiRäumchen oder die Villa an sich als Safe(r) Space betitelt wird. Die Villa ist in vielerlei Hinsicht eine Konfliktzone, die ergebnisoffen um die eigene Entwicklung ringt und verhandelt. Dabei kommt es immer wieder zu Verletzungen und Grenzüberschreitungen, die in ihrer Komplexität verstanden werden müssen. Schließlich gibt es in dieser Diversität sehr verschiedene Erfahrungen der Unterdrückung und Zugänge zu Reflexion über eigene Beteiligungen an gewaltvollen Handlungen. Im Moment befindet sich die Villa in einer Phase, die es verunmöglicht, Dissonanzen zu nivellieren, vielleicht die beste Zeit, um radikale Schnittstelle zu werden.

 

Marty Huber ist Mitbegründer_in und Mitarbeiter_in von Queer Base – Welcome and Support for LGBTIQ Refugees und unterrichtet Kunst- und Kulturvermittlung an der Akademie der bildenden Künste Wien.

 

 

 

1 Marty Huber: Radikale Schnittstelle werden. Über die Zukunft queerer Allianzen. In: Stimme – Zeitschrift der Initiative Minderheiten, Nr. 100/Herbst 2016
S. 14f.

2 Nora Sternfeld: Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung. Transnationales Lernen über den Holocaust in der postnazistischen Migrationsgesellschaft. Wien: Zaglossus 2013.